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Trainingslager allein

Seit über 25 Jahren leite ich jedes Jahr an Pfingsten ein Trainingslager, in dem wir uns mit Qigong und Taijiquan beschäftigen. Dieses Jahr (2020) konnte es aus bekannten Gründen nicht stattfinden! Also bin ich alleine gefahren und habe sowohl in Erinnerungen geschwelgt, als auch in die Zukunft gespürt. Vor allem war ich einfach da! Wie es mir ging und was ich erlebt habe, will ich euch in ein paar Zeilen beschreiben.


Der Duft der Wiese

Da sitze ich nun. Mitten auf der Wiese. Und wer schon einmal dabei war, weiß, dass der Geruch dieser Schwarzwald-Wiese einfach umwerfend und ganz besonders ist. Die zarten Blättchen der Bärwurz verströmen ihre würzig-frische Note bei jeder Berührung. Sofort muss ich an meine Übungen denken. Wenn ich die Augen schließe sehe ich meine kleine Gruppe, den „harten Kern“, vor mir. Was haben wir nicht alles schon gemeinsam an genau dieser Stelle geübt… kurze und lange Formen, Neues und Altbekanntes, haben zusammen gelacht und geschwatzt, geschwiegen, diskutiert und vor allem einfach das Miteinander gepflegt. Wenn ich zurückdenke, muss ich lächeln. Danke an euch alle!



Hoppla, ich bin!

Da es nichts zu organisieren gibt und nichts zu planen. Keine meiner Schülerinnen will noch einmal diese oder jene Übung gezeigt bekommen oder gemeinsam wiederholen. Keine Fragen, keine Ablenkungen… da sitze ich also nun einfach! Ich lausche nach außen, auf die Vögel, die Insekten im Gras, den Wind durch die Baumwipfel. Ich lausche nach innen und finde Stille. Also bin ich einfach nur da!

Was ich übe, entsteht einfach aus mir, ohne dass ich planen muss. Zeiten spielen keine Rolle. Dazwischen auch wieder Zeit. Zeit zum Nachspüren, noch einmal üben, sich wieder ins Gras setzen. Und das ist gut so! Ich genieße also die Zeit so, wie ich es in mir spüre, wie es sich ergibt. Dazwischen wandere ich durch die Wälder. Finde natürlich so einige kleine Pflanzen, die mich interessieren. Finde Harz an Bäumen und nehme es mit. Ich lasse die Füße in einen kleinen Bach hängen und schaue den Hunden zu, wie sie durch das Wasser tollen.

Schön ist ́s, einfach nur zu sein!



„Aus dem Nichts entstehen die tausend Dinge“

… so oder so ähnlich steht es schon im Daodejing und so geht es auch mir. In der Stille und Zurückgezogenheit entsteht auf einmal viel Raum für kreative Gedanken. Alles ist im Fluss, das Leben ist Veränderung. Daher nehme ich diese Zeit alleine gerne an und staune, welche Ideen mir so kommen. All die Leere bietet auf einmal eine Fülle von Möglichkeiten. Was macht diese Übung mit mir? Gehört sie zu mir? Was brauche ich wirklich? Was mache ich aus meinen Übungen? Spüre ich das Wachsen darin und was ist dafür noch nötig? Als hätte es einfach so kommen müssen, kann ich diese One-Woman-Trainingslager-Zeit alleine schätzen und noch mehr: sie ist Quelle neuer Ideen, kleiner und großer Fortschritte.


Das Glück schleicht sich ganz langsam an

Und da ist es auch schon: ein kleines Lächeln liegt auf meinen Lippen. Egal wie es ist, ich bin zufrieden. Alles was geschieht, hat mindestens zwei Seiten. Auch ein Trainingslager, das ausfällt! „Zeit ist eine wichtige Zutat“ habe ich einmal gelesen (wo genau, weiß ich leider nicht mehr, aber es ​ging wohl ums Kochen). Ich kann das nur bestätigen. Da ich ein Mensch bin, der sich eigentlich nie langweilt, kann ich auch nie genug Zeit für mich haben. Die Kunst ist nicht, sie zu füllen, sondern die stillen Zeiten dazwischen zu genießen und genauso zuzulassen, wie die aktiven Zeiten. Yin und Yang – ohne stille, ruhige Zeiten in denen man sich erträumt, was man braucht, gibt es auch keine kreative Schaffenszeit.


Gabi

(Juli 2020)



Nachtrag

2020 ist in vielerlei Hinsicht kein einfaches Jahr. Anfang des Jahres erkrankte meine langjährige Qigong-Weggefährtin Heike schwer und verstarb im Sommer. Ein Trainingslager ohne sie – fast nicht vorzustellen!

Die nächsten Trainingslager? Es wird immer auch eine Erinnerung an Heike dabei sein. Ihre immer fröhliche Art, ihre ruhige Kraft, ihre Art einfach anzupacken und zu helfen. Über viele Jahre haben wir uns mehrfach in der Woche gesehen, bei einer Tasse Tee über so Vieles gesprochen, zusammen viel gelacht.

Heike, wir vermissen dich!

Gabi (September 2020)

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