Hier das erste Interview, aus unserer Reihe "20 Rules - 20 Questions" mit Dojoleiter Michael Frank des Tengûkan Berlin - Lieber Michael, besten Dank für deine Teilnahme und euch viel Freude beim lesen.
20 Rules – 20 Questions
Zu Frage 1: Wann und in welchem Alter hast du mit Kampfkunst angefangen und kannst du dich an dein allererstes Training erinnern?
Die erste Berührung mit einer Kampfkunst im weitesten Sinne hatte ich im Alter von 8 Jahren, im August 1980. Ich bin in der DDR aufgewachsen und dort war das Judo neben dem Boxen der einzige Kampfsport, der erlaubt war. Sicherlich war der Wettkampfgedanke schon aus ideologischer Sicht das Hauptanliegen. Das hat mich als Kind und später als Jugendlichen aber nie wirklich interessiert, diese Ideologie für den Sozialismus etc., obwohl man sich dem nie ganz entziehen konnte. Für mich war es einfach nur faszinierend zu lernen sich so zu bewegen, den Mut zu entwickeln auf diese Matte zu gehen, sich dem Gegner zu stellen, ganz allein. Ich habe in den knapp 10 Jahren des Wettkampfsports Judo einige wertvolle Dinge gelernt, allerdings auch, daß dieser antrainierte und oftmals extrem geforderte Wille zum Sieg ohne einen geistigen oder persönlichkeitsentwickelnden Gegenpart gefährlich sein kann. Das war auch der Grund warum ich mich mit 15 dann an jemanden wandte, der heimlich Karate übte. Wir trafen uns beim Judo- training und, um es kurz zu machen, ich brachte ihm Judo bei und er führte mich in die Welt des Karate ein.
Im Gegensatz zum Judo fand dieses Training ausschließlich draußen statt, an einer verborgenen Stelle im Wald und das erste Training dieser Art bestand aus Kiba-Dachi und Seiken-Choku-Tsuki, ungefähr 2 Stunden lang. Daran werde ich mich mein Leben lang erinnern! Abenteuer pur und voll tiefer Eindrücke, die mich wahrscheinlich bis heute noch prägen.
Zu Frage 2: Heute bist du selbst Lehrer. Wie siehst du deine Entwicklung in der Kampfkunst mit dem Blick auf deine Persönlichkeit und deiner Haltung zum Leben?
Das ist eine sehr komplexe Frage! Fest steht für mich, daß der Weg, den ich in den Kampfkünsten bis zum heutigen Tag gegangen bin nicht nur ein Weg der Kampfkünste war, sondern auch und vor allem ein Weg zu mir als Mensch. Ich hatte und habe zum Beispiel immer eine gewisse Angst vor Verletzungen und Schmerzen, ob nun im täglichen Leben oder in einem Kampf. In jüngeren Jahren war mir das nicht wirklich bewußt, doch aus heutiger Sicht kann ich sagen, daß die Kampfkünste mich in die Lage versetzt haben, mich dieser Angst zu stellen, sie anzunehmen und zu einem Mittel zu machen, mich zu verbessern, mich zu nehmen wie ich bin und damit erst wirklich die Fähigkeit zu entwickeln anderen auf ihrem Weg zu helfen, mich als Beispiel zu verstehen und zu zeigen, sprich - ein Lehrer zu sein.
Die Kampfkünste und mein tägliches Leben verstehe ich heute als untrennbar miteinander verwoben, beide folgen den gleichen Prinzipien, seien es nun die zwischenmenschlichen Beziehungen, die zu mir selbst oder die Beziehungen, die ich zu meiner Umwelt unterhalte und pflege. Ihre Ausdrucksweisen und Methoden des Lehrens mögen sich manchmal sehr unterscheiden, doch im Kern geht es immer um eines – den Menschen.
Zu Frage 3: Was war bisher deine wertvollste Erfahrung als Schüler der Kampfkunst?
DIE wertvollste Erfahrung als Schüler der Kampfkunst kann ich so nicht benennen. Derer gibt es so viele, aber gefragt nach der nachhaltigsten Erfahrung, die bis heute wirkt, würde ich ein Gespräch nachts gegen 3 Uhr mit Werner Lind nennen, 2001 während eines Trainingslagers in Oberau in Österreich nach einem wirklich geselligen Abend in dem es um die Prüfung zum 1. Dan ging. Ich war mir unsicher, ob ich diese Prüfung antreten sollte, soweit war und überhaupt dürfte und habe ihn in einem Anfall heroischen Mutes rundheraus gefragt nach seiner Meinung. Er fragte mich nur, ob ich es denn wirklich wolle … der Rest ist Geschichte; im Dezember 2001 bestand ich mit 4 Freunden die Prüfung. Doch viel wichtiger war die Erkenntnis, die ich daraus in einem längeren Prozess gewann: Türen können Dir geöffnet werden, hindurch gehen und an Dich glauben mußt Du selbst.
Zu Frage 4: Was war bisher deine wertvollste Erfahrung als Lehrer der Kampfkunst?
Ich weiß nicht, wie es anderen Lehrern geht, aber für mich ist die bis heute wichtigste Erfahrung als Lehrer der Kampfkünste, daß während man was auch immer lehrt und unterrichtet, man selbst nochmal neu lernt, alles was man gerade unterrichtet und man sich damit dem Prinzip dessen, was man gerade lehrt immer mehr nähert, es greifbar macht und in sich reifen läßt. Das hört sich für den einen oder anderen eventuell etwas abgehoben oder vergeistigt an, aber ich denke jeder Lehrer, der sich selbst wahrnimmt und hinterfragt während er unterrichtet wird mir da zustimmen.
Zu Frage 5: Was war bisher deine größte Herausforderung als Schüler der Kampfkunst?
Ganz klar eine Sache, nämlich das Vertrauen, den Respekt und die Anerkennung, die mir meine Lehrer entgegengebracht haben und es immer noch tun, mir auch selbst entgegenzubringen. Fortschritt bedeutet natürlich auch immer Verantwortung, aber eben auch die oben genannten Dinge und das anzunehmen fiel mir oftmals schwer. Ich sage nicht, ich hätte diese Herausforderung gemeistert, sondern eher ich bin vorangekommen. Denn erst, wenn man lernt etwas freundlicher zu sich selbst zu sein, wird man das auch anderen gegenüber sein können.
Zu Frage 6: Was war bisher deine größte Herausforderung als Lehrer der Kampfkunst?
Neben all den Herausforderungen, denen man als Lehrer tagtäglich im Dojo mit seinen Schülern oder im Alltag gegenübersteht, gab es für mich doch eine, die ich als besonders beschreiben würde; nämlich meine Erfahrungen und mein Wissen zu teilen mit meinen Lehrern ohne zu zweifeln, ob das gut genug oder Schrott wäre, sondern für das, was ich tue und bin einzustehen ohne Stolz oder übersteigertes Ego, aber auch ohne mich kleiner zu machen, als ich bin. Diese Balance zu finden halte ich im Übrigen für eine der schwierigsten Herausforderungen für jeden Lehrer, aber auch für jeden Menschen im Allgemeinen.
Zu Frage 7: Was schätzt du an einem Lehrer am meisten?
Inspiration - die Fähigkeit die Schüler, so verschieden sie auch sein mögen, zu erreichen, mitzunehmen, zu ermutigen ihrem Weg zu folgen, das innere Feuer zu entfachen und am Leben zu erhalten. Neben einigen anderen Fähigkeiten eines Lehrers ist das diejenige, die ich am meisten schätze und bewundere und ja - auch genieße …
Zu Frage 8: Was schätzt du an einem Schüler am meisten?
Gute Frage, gefährliche Frage … wenn ein Schüler mit dem Herzen dabei ist … Das empfinde ich am wichtigsten, denn dann wird man früher oder später einen Zugang zu ihm finden und ihn wirklich unterrichten können.
Zu Frage 9: Wie wichtig ist dir ein spiritueller Weg in den Kampfkünsten und sollte dieser mit dem Training und dem alltäglichen Leben verknüpft sein?
In den Kampfkünsten finden sich immer mehrere Arten und Wege sie zu betreiben und zu leben. Ich finde aber der spirituelle also geistige Weg ist, wenn man die Kampfkunst ganzheitlich ausüben will, ohne Frage ein fester Bestandteil dieser und somit geht es hierbei nicht um die Wichtigkeit eines solchen, sondern um die Art und Weise, wie jeder einzelne damit umgeht und diesen Weg für sich entdeckt und geht. Für mich ist die Spiritualität wesentlich, weil sie mit den Dingen zu tun hat, die wir nicht erklären, sondern nur erfahren können, ganz besonders in der Kampfkunst. Also ja, der spirituelle Weg als solcher sollte verknüpft sein mit dem Training und dem täglichen Leben, schon, weil er das Gleichgewicht zur Rationalität in der Technik und dem körperlichen Training auf allen Ebenen aufrechterhält.
Zu Frage 10: Hast du eine Lieblings-Kata und was gibt Sie dir?
Wenn ich eine Kata nennen sollte, die ich wirklich sehr schön finde und die mich innerlich sehr stark anspricht ist das die Nijushiho und ihre ältere Form die Niseishi. Beide sind recht virtuos und verlangen in hohem Maße eine Mischung aus Leichtigkeit in der Bewegung und Stärke und Präsenz in der Ausführung der Technik. Wenn ich sie übe, empfinde ich stets eine tiefe Ruhe und Gelassenheit, sie liegt mir einfach, ich fühle mich sehr wohl bei ihrer Ausführung. Sicherlich sind da noch andere Kata, bei denen das ähnlich ist, aber nicht in der Art wie bei der Nijushiho. Sie vermittelt mir sehr deutlich das Gefühl einer starken und alten Kampfkunst. Besser kann ich es leider nicht beschreiben.
Zu Frage 11: Welche Einstellung hast du zu Wettkämpfen & Turnieren?
Da ich aus dem Judo komme sind Wettkämpfe immer schon Bestandteil des Trainings und meines ganz persönlichen Weges in den Kampkünsten gewesen. Ich habe tatsächlich sehr viele Kämpfe bestritten, die meisten im Judo, doch auch in den 90er Jahren im Kyokushinkai und sogar letztes Jahr habe ich noch einmal einen Ausflug in die Wettkampfwelt gewagt und bin in einen „Käfig“ gestiegen, um mich nach K1- Regeln mit anderen zu messen. Ich finde das Mittel des Wettkampfes recht probat, es bietet mit Einschränkungen natürlich die Möglichkeit sich selbst zu testen und einem nicht alltäglichen Stress auszusetzen, um zu erfahren, wie man da reagiert. Es muß jeder für sich selbst entscheiden, ob er das will, was es ihm bringen könnte und wie er damit umgeht. Ich für meinen Teil lehne Wettkampf und Turniere nicht kategorisch ab, beide haben ihren Wert, ich habe sie genutzt und meine Erfahrungen in den Unterricht einfließen lassen und ich denke, das hat nicht geschadet …
Zu Frage 12: Welche 3 Sätze beschreiben deine Persönlichkeit am besten?
Schwierige Frage, aber ich versuche es mal:
Wenn mir Mißgeschicke passieren suche ich den Fehler meist zuerst bei mir.
Sieben Mal hinfallen, acht Mal aufstehen.
Ich fühle und sehe mich nicht als „Herr“ der Welt, eher als ein Teil des großen Ganzen.
Zu Frage 13: Sind andere Künste in deinem Leben ebenso wichtig und vertreten wie die Kampfkunst?
Vorab möchte ich dazu bemerken, daß ich alle Bereiche meines Lebens als ebenbürtig betrachte, sie hängen alle unmittelbar zusammen, wie ein Kreis, würde ein Stück fehlen, wäre es kein Kreis mehr. Somit gibt es zwischen den Bereichen keine Konkurrenz oder Rangfolge. Doch hat jeder natürlich Lieblingsbereiche zu denen er leichteren oder emotionaleren Zugang hat. In meinem Fall ist das zum Beispiel das Schreiben von Gedichten und Kurzgeschichten, der Umgang mit der Sprache, der einen in die Lage versetzt Augenblicke, Gedanken, Empfindungen und Stimmungen für andere nachvollziehbar zu formulieren und niederzuschreiben.
Zu Frage 14: Gibt es einen Lehrer / Sensei, der deine Entwicklung stark geprägt hat?
Nein, einen einzigen gab es nicht. So würde ich das nicht beschreiben. Ich bin sehr dankbar dafür, daß ich in jeder Phase meines Weges begleitet wurde von Trainern und Lehrern, die mich auf ihre ganz persönliche Weise geprägt und beeinflusst haben. Ich empfinde den BSK als meine „Heimat“ in Sachen Kampfkünste und so ist es auch nicht verwunderlich, daß dort einige Lehrer waren und sind, auf die das zutrifft, Werner Lind, Peter Schömbs, Ursel Gantke, Christian Lind, um nur einige zu nennen. Aber auch außerhalb des BSK bin ich auf Lehrer getroffen, von denen ich lernen durfte. Hervorzuheben ist da besonders einer, und zwar Hanshi Patrick McCarthy, der mich in die Schwertkunst eingeführt und stets und ständig ermutigt hat dort meinen Weg zu gehen. Ohne sie alle wäre ich heute nicht da wo ich bin und der, der ich bin.
Zu Frage 15: Welche 3 Leitsätze sind für dich am wichtigsten aus der shuto niju kun oder einer anderen Budo-Lehre wie z.B. dem Wu-De?
Ich beziehe mich auf die Shoto Niju Kun von Meister Funakoshi und die drei Leitsätze, die ich persönlich favorisiere sind folgende:
Vergiss nie: Karate beginnt mit Rei und endet mit Rei.
Denke nicht ans Gewinnen, doch denke darüber nach, wie Du nicht verlierst.
Wandle Dich abhängig von Deinem Gegner.
Zu Frage 16: Musstest du deine Kampfkunst jemals im Alltag anwenden um dich oder andere zu schützen?
Ich bin bisher nicht gezwungen gewesen die Kampfkunst anzuwenden, um mich oder andere schützen zu müssen und ehrlich gesagt hoffe ich auch, daß das so bleibt, denn ich bin gerne gesund und in einem Stück und könnte es nur schwer ertragen jemand anderem eventuell irreparablen Schaden zuzufügen in so einer Extremsituation, in der die Nerven blank liegen und es ums Ganze geht. Zumindest habe ich keine Ahnung, ob und wie ich damit umgehen würde.
Zu Frage 17: Haben die inneren Kampfkünste wie z.B. Qi Gong eine einen Platz in deinem Training/Unterricht und wenn ja, warum?
Die inneren Kampfkünste, wie das Qi Gong, sind Bestandteil meines Trainings und zu einem Teil auch des Unterrichts im Dojo. Der Umgang mit sich selbst wirkt sich auf den Umgang mit anderen aus. Wenn man also achtsam mit sich umgeht wird man das höchstwahrscheinlich auch mit anderen tun. Das Hineinhorchen in sich und das Beobachten und geistige Begleiten führen meiner Erfahrung nach zu einem aufmerksameren und freundlicheren Sein mit sich selbst, zu einem besseren Verständnis der Zusammenhänge. Kampfkunst hat sehr viel mit der Arbeit an sich selbst zu tun und die sogenannten Inneren Künste bieten eine Möglichkeit jenseits von Partnerübung und Kampf genau das zu ermöglichen.
Zu Frage 18: Hast du eine Frage an dich selbst?
Was für eine Frage!! …. Ja, ich habe eine Frage an mich und zwar eine, die ich mir immer wieder stelle:
„Bin ich ein guter Lehrer?“
Zu Frage 19: Wenn du morgen deinen letzten Unterricht halten würdest, was wäre deine wichtigste Botschaft an deine Schüler?
Eine seltsame Vorstellung den letzten Unterricht zu halten; aber ich würde wohl sinngemäß Folgendes sagen:
Es gibt im Leben eines Kampfkünstlers drei wichtige Meister, den ewigen Meister, das Ideal, dem alle vor uns gefolgt sind, den leibhaftigen Meister, der das Bindeglied ist zwischen dem Schüler und den Ahnen, die den Weg schon gegangen sind und dann noch den inneren Meister, die innere Stimme in jedem von uns. Um den eigenen Weg zu finden und auch zu gehen ist der innere Meister der wichtigste, also folgt im Zweifel immer ihm, eurer inneren Stimme.
Zu Frage 20: Hast du zum Schluss noch eine Message an alle Kampfkünstler und Budoka da draußen?
Zum Schluß möchte ich eine ganz persönliche Erkenntnis mit allen teilen, die das wollen. Es gibt nach meiner Erfahrung zwei wesentliche Dinge, die den Weg in den Kampfkünsten erfüllend und im wahrsten Sinne beglückend machen können, Liebe und Hingabe. Liebe, was Du da tust jeden Tag aufs Neue und gib Dich der Sache hin mit allem, was Du hast.
Das ist in der Kampfkunst so und im Leben nicht weniger.
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